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„Athletik wird auch in Zukunft immer mehr an Stellenwert im Fußball gewinnen“ – Interview mit Thomas Kettner

Wir sprachen mit Fußballtrainer und Autor Thomas Kettner über seine Referententätigkeit beim türkischen Zweitligisten Altinordu FK, einem der internationalen vorzeige Clubs wenn es um Jugendarbeit geht. Seine neue Buchreihe „Fußballfitness & Periodisierung“ und seine zukünftigen Projekte!


Fußballfitness und Periodisierung – Teil 1

Bewertung 5 Sterne

Der erste Teil der Heftreihe „Fußballfitness und Periodisierung“ befasst sich mit dem Thema „Ausdauertraining mit Großen Spielformen. 70 Spielformen für 14 – 20 Feldspieler.


FT24: Anfang diesen Jahres warst du als Referent beim türkischen Zweitligisten Altinordu FK zu Gast, der vor allem für seine Jugendakademie bekannt ist. Wie ist es dazu gekommen?

Thomas Kettner: Eher durch einen Zufall kam ich zu der Ehre als Referent für die Trainer einer der besten Talentschmieden Europas, 2 Vorträge und 2 Praxiseinheiten abzuhalten. Da der ursprünglich angedachte Referent den Organisatoren kurzfristig abgesagte, musste wenige Tage vor Reisebeginn Ersatz gefundenen werden.

Mitorganisator Maximilian Stumpf (mittlerweile Leiter Kinderfußball und Kooperationen im Nachwuchsleistungszentrum von Eintracht Frankfurt), den ich noch von meiner Zeit beim FSV Hollenbach kannte, kontaktierte mich, ob ich ggf. Interesse hätte hier kurzfristig als Referent einzuspringen. Durch meine Autorentätigkeit, gepaart mit der langjährigen Erfahrung im höheren Juniorenbereich wäre ich als Referent für die Akademie interessant.

Nach kurzer Rücksprache mit meiner Frau, sowie meinem Arbeitgeber (kurzfristig Urlaub, etc.) sagte ich dann für die 6-tägige Türkei-Reise zu.

Dem Erfolg in der Ausbildung junger Spieler bei Altinordu FK liegt u.a. die vereinsinterne Vorgabe zugrunde, dass mindestens sechs A-Jugendliche (U19 Spieler) sich im Kader der ersten Mannschaft befinden. Zudem sollen mindesten zwei davon immer in der Startelf stehen. So bekommen talentierte junge Spieler auf gutem Niveau Spielpraxis (2. türkische Liga).

Diese jungen Spieler werden dann sobald der nächste Entwicklungsschritt ansteht, gezielt weiterverkauft. Hierbei geht es jedoch nicht um den maximalen finanziellen Erfolg des Vereins, sondern um die gezielte Weiterentwicklung junger türkischer Spieler.

Caglar Söyüncü, der 2019 von Freiburg zu Leicester City wechselte. Burak Ince, der seit Dezember 2020 bei Arminia Bielefeld ist, wo er als 18-jähriger letzte Saison bereits Bundesliga Luft schnupperte. Enis Destan der als 19-jähriger im Januar 2021 zu Trabzonspor wechselte und dort nun Türkischer Meister zu werden. Sowie auch Engiz Ünder (Olympique Marseille) stammen z.B. alle aus der Akademie von Altinordu FK.

FT24: Welche Themen standen bei deinen Vorträgen auf dem Programm?

Thomas Kettner: 2 Themen wurden in Theorie und Praxis behandelt. Zum einen mein Lieblingsthema „Taktische Flexibilität“, und zum anderen „Fußballfitness und Periodisierung“. Bereits seit Anfang Dezember letzten Jahres war ich ja explizit an dem zweiten Thema dran, da ich den Theorieteil für die ersten 3 Teile der neuen Heftreihe schrieb. So war ich in diesem Thema ja komplett drin, was mir hinsichtlich der Vortragsgestaltung sehr helfen sollte.

Beide Themen hatten und haben eine sehr hohe Aktualität, was im Nachgang auch der diesjährige Internationale Trainerkongress in Freiburg nochmals unterstrich. Auf dem ITK 2022 wurde 6 z.B. sowohl über „Leistungsphysiologische Trainingssteuerung“, sowie über „Top-Trends des modernen Spiels“ referiert.

Traininggelände U13 bis U19 – Altinordu FK

FT24: Was ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Thomas Kettner: Die beeindruckende Zahl von 158 Standorten (in der Türkei) mit insgesamt mehr als 12.000 Kinder im Alter von 6-12 Jahren, die dort an den Fußballschulen von Altinordu FK spielen. Der Verein belässt die Kinder so relativ lange in ihrem familiären Umfeld, ehe die talentiertesten dann mit 12-13 Jahren in die Akademie wechseln.

Die Altinordu Football Academy „ALFA“ selbst besitzt eine hervorragende Infrastruktur, welche in Deutschland wahrscheinlich ihresgleichen sucht. Es stehen alleine für die Altersbereich U13 bis U19 sechs Trainingsplätze, sowie diverse Kleinfelder für Torspieler, Athletik-Parcours, ein Footbonauten, Kryptotherapie, Kraft- und Fitnessräumen und vieles mehr zur Verfügung. Fast 30 festangestellte Trainer kümmern sich hier um die fußballerische Entwicklung der Juniorenspieler. Zudem sind u.a.10 festangestellte Trainer für die 1.200 Kinder an der Altinordu-Fußballschule in Izmir zuständig.

Das Profiteam von Altnordu FK hat wiederum seinen separaten Trainings-Standort ca. 15km von der Akademie entfernt.

Peter Schreiner & Thomas Kettner auf dem ITK 2022

FT24: „Fußballfitness und Periodisierung“ ist auch der Titel deiner neuen Heftreihe, wie bist du auf dieses Thema gekommen?

Thomas Kettner: Um das Training mit meinen Mannschaften so effizient und spielnah wie nur möglich zu gestalten habe ich mich im Laufe der Jahre auch immer wieder mit Themen wie Belastungssteuerung, Periodisierungsarten, Fußballspezifischer Ausdauer, etc. befasst.

Auch die Trainer der unteren Spielklassen trainieren mittlerweile „mit Ball“ oder sogar in Spielformen. Ist jedoch die Auswahl und Aneinanderreihung der geplanten Trainings- und Spielformen zielgerichtet und effizient genug?

Nur mit einer zielgerichteten Periodisierung der Fußballfitness wird der ganzheitliche Ansatz, den Spielformen ja bieten, effektiv mit der Athletik verbunden.

Ziel ist hier, mehr Fitness und gesunde Spieler!

Die Athletik wird auch in Zukunft immer mehr an Stellenwert im Fußball gewinnen. Aktions- und Handlungsschnelligkeit sind immer wichtigere Komponenten des Spiels geworden. Der Fußball wird immer schneller und athletischer. Im modernen Fußball, wird derjenige im Vorteil sein, der schneller wahrnimmt, schneller Lösungen findet und entsprechend schneller handelt. Da dies auch noch in den Schlussminuten eines jeden Spiels zu Saisonbeginn, wie auch zu Saisonende möglich sein soll, sind wir bei dem Thema „Fußballfitness und Periodisierung“ angelangt.

FT24: Denkt man im Fußball an Periodisierung, denkt man zwangsläufig auch an Raymond Verheijen, hast du dich an Ihm orientiert?

Thomas Kettner: Definitiv! Denn dieser Periodisierungsansatz mit den wiederkehrenden 6-wöchentlichen Mesozyklen für die Ausdauer und Schnelligkeit, ist aus sportwissenschaftlicher Sicht für den Fußball ideal.

Spätestens mit der EM 2008 hatte Raymond Verheijen, damals als Co- und Athletiktrainer der Russischen Nationalmannschaft, endgültig auf sich aufmerksam gemacht. Nach dem sensationellen Abschneiden Südkoreas bei der WM 2002 waren die Russen bei der EM 2008 ein weiteres Underdog-Team, welches mit ihrer sehr laufintensiven Spielweise bis ins Halbfinale kam. Daraufhin erschien bereits nach der EM in der Zeitschrift „Fußballtraining“ der Artikel „Warum die Russen so fit waren“. In diesem Fachartikel wurde bereits vor über 13 Jahren der 6-Wochen-Zyklus, sowie die Einbindung von Testspielen in das Konditionstraining dargestellt.

FT24: Worin unterscheiden sich deine Ideen zu denen von Raymond Verheijen?

Thomas Kettner: Bereits 2009 kam ich als Trainer fast gänzlich weg von reinen Ausdauerläufen, hin zum Ausdauertraining in Spielformen. Bei diesem ganzheitlichen Ansatz lässt sich neben der Ausdauer nebenbei auch alle anderen für das Spiel wichtigen Komponenten trainieren. Dies sind neben dem Verhalten bei eigenem Ballbesitz, dem Umschalten bei Ballverlust, Verhalten bei gegnerischem Ballbesitz und Umschalten nach Balleroberung, Paßspiel, Dribbling, Torabschluss, etc. auch weitere konditionelle Komponenten wie Kraft und Schnelligkeit.

Jedoch ist Spielform nicht gleich Spielform. Durch Feldgröße, Spielerzahl, Spielregeln, sowie Belastungs-Pausenzeiten werden unterschiedliche Schwerpunkte trainiert.

Durch eine Vielzahl von Anregungen aus Fachzeitschriften, Fachbüchern, Vorträgen, Fortbildungen, Analysen und auch sportwissenschaftliche Studien hat sich im Laufe der Jahre so Stück für Stück ein praxisnaher Periodisierungsansatz für die Fußballfitness ergeben, der stetig verbessert wurde.

Nur mit einer zielgerichteten Periodisierung der Fußballfitness wird der ganzheitliche Ansatz, den Spielformen ja bieten, effektiv mit der Athletik verbunden.

Thomas Kettner

Ein besonderer Fokus liegt hierbei wieder auf dem Ordnungssystem der Spielformen. Diese sind flexibel einsetzbar und ganz einfach auf die Spielerzahl des Trainingstages anzupassen.

Fußballspezifische Ausdauer kann man aus Sicht der Sportwissenschaft sowohl mit zwei, mit einem, oder sogar ohne Torhüterin Spielformen spielnah trainieren. Selbstverständlich bildet eine Spielform mit 2 Toren und Torhüter das eigentliche Spiel am nächsten ab.

Die „Football-Periodisation“ nach Verheijen betrachtet das Spiel an sich (vorrangig mit 2 Toren und Torhüter!), als Ausgangspunkt. Dies ist absolut richtig und sinnvoll, jedoch für viele Mannschaften so leider nicht praktikabel.

Im Junioren-, sowie mittleren- und auch unteren Amateurbereich sind nicht immer 2 Torhüter in jedem Training zur Verfügung. Soll man nun das Ausdauertraining an diesem Tag ausfallen lassen? Mit etwas Flexibilität und Kompromissbereitschaft lässt sich nämlich auch mit einem, oder auch gar keinem Torhüter zielgerichtet trainieren.

Thomas Kettner war langjähriger Trainer der Oberliga-A-Jugend des FSV Hollenbach

FT24: Mittlerweile sind 3 Hefte erschienen, bauen diese aufeinander auf?

Thomas Kettner: Die 3 Teile bauen aufeinander auf und es macht Sinn, sich alle 3 Teile auf einmal zuzulegen.

Um eine Periodisierung mit 6-wöchentlichen Mesozyklen umzusetzen wird die Ausdauer in den ersten 2 Wochen in großen Spielformen, dann 2 Wochen in mittleren Spielformen und die letzten beiden Wochen in kleinen Spielformen trainiert. Im Anschluß daran startet der nächste Mesozyklus.

Durch die jeweils 70 Spielformen pro Heft, kann der Trainer so flexibel auf verschiede Spieler- und Torhüterzahlen reagieren. Der jeweilige Trainer wählt einfach die entsprechende Ausdauerspielform aus dem entsprechenden Heft aus und kann diese einfach in das Training einbauen.

Lediglich die Belastungs-Pausenzeiten und die Anzahl an Wiederholungen müssen entsprechend angepasst werden.

FT24: Wird es einen 4. Teil geben?

Thomas Kettner: Die ersten 3 Teile behandeln ja speziell das Thema der „Fußballspezifischen Ausdauer“.

Die Reihe ist so angelegt, dass weitere Teile wie Schnelligkeit und Kraft folgen sollen.

Aktuell denke ich konkret über einen 4. Teil der Reihe nach, welcher das Thema Schnelligkeit und deren Periodisierung behandelt.

Hier ist wieder ein Theorieteil, sowie eine Vielzahl an praxiserprobten Trainingsformen angedacht. Schließlich kann man viele Bereiche der Schnelligkeit auch spielnah, also in Spielformen trainieren. Jedoch müssen auch hier die Spielformen so gewählt werden, dass diese auch die gewünschten Schwerpunkte trainieren. Auch hier gilt wieder, Spielform ist nicht gleich Spielform.

Das Thema Belastung spielt eine immer größere Rolle, 2019 hat die internationale Spielergewerkschaft FIFPro die zunehmende Überlastung im Profifußball angemahnt. Wie siehst du diese Entwicklung? Die Anzahl der Spiele hat sich leider im Laufe der letzten Jahre speziell im Profibereich aufgrund der stetig steigenden Kommerzialisierung immer weiter erhöht.

Aber auch die Ligen im Amateurbereich sind coronabedingt extrem aufgebläht. So sind im mittleren und unteren Amateurbereich, Staffelgrößen von 19, 20 oder auch 21 Mannschaften keine Seltenheit. Hinzu kommen noch Pokal- und Testspiele. Um diese Vielzahl an Spielen irgendwie bewerkstelligen zu können bedarf es im Laufe einer Saison mehrerer englischer Wochen. Dementsprechend hat sich auch in diesem Bereich die Belastung mittlerweile drastisch verändert.

Viele Mannschaften und Trainer versuchen nun durch größere Mannschaftskader der geänderten Belastung, sowie den verletzungsbedingten Ausfällen entgegenzuwirken. Aus meiner Sicht wäre hier eine Belastungssteuerung mit Fokus auf die jeweiligen Morphozyklen (Abstand zwischen dem letzten Spiel und dem nächsten Spiel) ein sinnvoller Ansatz.

Die jeweiligen Morphozyklen variieren im Laufe einer Saison. So können die Abstände zwischen den Spielen mal 8, 7, 6, oder auch nur 3 Tage betragen. Letztendlich sollte ja das Ziel sein, am Spieltag fitte und gesunde Spieler zur Verfügung zu haben.

FT24: Welche Projekte hast du für die Zukunft geplant?

Thomas Kettner: Wie bereits erwähnt, denke ich aktuell über ein viertes Heft innerhalb der Reihe „Fußballfitness und Periodisierung“ nach.

Mittelfristig ist es auch denkbar, dass eine komplette Vorbereitungsphase (6-8 Wochen) beispielhaft anhand dieser Periodisierungsstruktur in einem separaten Heft darstellt wird. Mit Hilfe der bereits erschienenen Hefte kann so jeder Trainer individuell für seine Mannschaft den Trainingsplan basierend auf 6-wöchige Mesozyklen speziell anpassen.

Ob es für diese Heftreihe irgendwann einmal ebenfalls 6 Teile wie bei der Reihe „Flexible Trainingsplanung“ gibt, steht jedoch noch in den Sternen.

FT24: Wir bedanken uns ganz herlich für das Gespräch und wünschen dir viel Erfolg bei deinen Projekten!


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